Aus eigener Lebenserfahrung erkennend, ließ Johann (der Vater) seinen Sohn (meinen Ur-Großvater) das Maurerhandwerk erlernen. Das war zwar ein schweres Unternehmen, aber Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Ein Fahrrad gab es nicht, Gustav konnte damit auch nicht fahren. Die Baustellen mussten zu Fuß erreicht werden, bei einer Arbeitszeit von 12 Stunden waren also noch 2 bis 3 Stunden An- und Abmarsch einzuplanen. Nach der Lehre ging es auf Wanderschaft. Das gehörte zur Zunft. Gustav war schon bis ins Rheinland, als ihn die Einberufung zum Militärdienst erreichte. Er wurde Soldat 1905 bis 1907 in der 8. Kompanie des Infanterieregiments Nr. 57 des Herzogs Ferdinant von Braunschweig stationiert in Wesel a. Rh. Wehrsold am Tag 20 Pfennig, wobei Putzzeug und Brotaufstrich selbst zu beschaffen waren. Das Mittagessen bestand täglich aus Eintopf, nur Sonntags gab es Salzkartoffel. Zum Frühstück und Abendessen gab es Suppe und Brot.
Am 01.08.1914 war in
Folge des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges das Familienleben erst
einmal beendet. Gustav gehörte zum Beurlaubtenstand und musste
sofort einrücken zum Regiment nach Wesel a.Rh. Er kämpfte in
Russland und Frankreich, wurde zwei mal verwundet und geriet
während der Schlacht an der Somme in Flandern am 15.09.1916 in
englische Gefangenschaft. In einem Brief aus London schrieb er am
26.06.1918 an die Familie:
"Nun werden es bald drei Jahre wo ich zum letzten mal zu
Hause war, es kann sein, daß wir uns dieses Jahr noch
wiedersehen."
Wieviel Hoffnung. Es sollte noch über ein Jahr vergehen, bis sie
am 18.11.1919 in Erfüllung ging. Die Familientragödie zeigte
der Kindermund. Tochter Elisabeth fragte die Mutter am Abend
seiner Rückkehr:"Mutter, will der Mann die Nacht bei uns
bleiben?"
Eine weitere Episode:
Der Ehemann von Schwägerin Anna war in der selben Schlacht im
selben Frontabschnitt, als Gustav in Gefangenschaft geriet,
gefallen.
Ihm sei dieses Lied gewidmet, auch als Mahnung an alle Nachkommen der Familie Werth.
Die Ungewissheit über das Schicksal von Gustav war
unerträglich. Tränen gab es täglich. In dieser Situation
erklärte Töchterchen Martha, sie weine jetzt nicht, erst wenn
der Vater bis zu ihren Geburtstag (Vater und Tochter am 15.11.)
nicht geschrieben hat, dann weine sie auch. Am 15.11.1916 kam der
erste Brief aus England. Dieses Ereignis wiederholte sich am
15.11.1945. Gustav - schon über 60 Jahre alt - wurde im Zweiten
Weltkrieg nach Penemünde dienstverpflichtet und floh in den
Kriegswirren nach Schleswig-Holstein. Niemand wusste, hat er
überlebt? Das erste Lebenszeichen erreichte die Familie an genau
diesem Tage.
Hier eine Rede zum Jubiläum der Eisernen Hochzeit, von Alfred Werth |